„Herr Bostanci, bitte zum Leergut, Herr Bostanci, bitte.“ Eine Durchsage im Edeka-Markt Göbel in Haiger, die den 32-jährigen Serdar Bostanci mit Stolz erfüllt. Wenn er gebraucht wird, ist der Mann mit Behinderung sofort zur Stelle. Eine seiner vielen Qualitäten: Zuverlässigkeit. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum der Beschäftigte der Werkstätten aus dem Edeka-Team nicht mehr wegzudenken ist.
„Wenn die Lebenshilfe Dillenburg noch drei wie Herrn Bostanci für uns hätte – wir würden sie am liebsten alle nehmen“, schwärmt Geschäftsführer Kai Göbel von seinem Mitarbeiter, der mit sonnigem Gemüt in Windeseile die Herzen der Mitarbeiter- und der Kundschaft erobert hat. 2006 hatte Bostanci im Berufsbildungsbereich der Dillenburger Werkstätten in Flammersbach begonnen, bevor er in die Außenarbeitsgruppe der Lebenshilfe bei einem heimischen Industrieunternehmen wechselte. „Sein Ziel war es schon immer, außerhalb der Werkstatt zu arbeiten“, erklärt Susanne Kind, die ihn über die Betriebsintegrierte Beschäftigung (BiB) der Lebenshilfe Dillenburg betreut. Da er bereits ein Praktikum im Einzelhandel absolviert hatte, fragte sie bei Edeka Göbel an, ob man sich vorstellen könne, einen BiB-Platz für ihren Betreuten zu schaffen. Man konnte.
„Wir haben das im Team besprochen, und anfangs gab es schon noch ein bisschen Skepsis“, sagt Göbel. „Aber das hat sich direkt in der ersten Woche gelegt. Einfach durch Herrn Bostancis Art.“ Ein anfängliches vierwöchiges Praktikum im März dieses Jahres ermöglichte beiden Seiten ein gegenseitiges Beschnuppern und für Bostanci ein Kennenlernen der Tätigkeit. Seit April arbeitet Bostanci nun als sogenannter betriebsintegrierter Beschäftiger (BiB-Beschäftigter) mit. Bedeutet konkret: Der Beschäftigte behält seinen Status als Mitarbeiter der Werkstatt, ist jedoch in die Arbeitsorganisation des beschäftigenden Betriebes eingebunden. Die pädagogische Begleitung, Entlohnung und gesetzliche Sozialversicherung des Mitarbeiters erfolgen auch weiterhin über die Werkstatt. „Die Integration des Menschen mit Behinderung steht dabei im Vordergrund, und das geschieht hier bei Göbel ganz selbstverständlich.“ So gehört auch ein Feierabendbier mit den Kollegen mittlerweile dazu.
„Herr Bostanci passt einfach super in unsere Truppe und sorgt für ein gutes Betriebsklima“, so Göbel. Durch seine Behinderung erledigt Bostanci Aufgaben mitunter ein wenig langsamer, aber „er ist sehr fleißig, freundlich und sehr konzentriert“. Beim Einräumen der Ware achtet er geradezu penibel darauf, dass das Etikett nach vorne zeigt. „Der Kunde soll die Ware ja direkt finden“, erklärt er. Wenn er etwas nicht weiß, fragt er nach. Dafür zeigt auch die Kundschaft Verständnis.
Sein direkter Ansprechpartner im Laden ist Marktleiter Kevin Kilian. Er fungiert als BiB-Pate und steht im regelmäßigen Austausch mit Susanne Kind. Anfangs häufiger, inzwischen nur noch einmal monatlich. „Herr Bostanci und ich hatten von Anfang an einen guten Draht zueinander“, blickt er zurück. Bostanci habe nicht nur viel zusätzliche gute Laune in den Markt gebracht, sondern auch dazu beigetragen, die Mitarbeiterschaft auf das Thema Behinderung zu sensibilisieren.
Bostanci sagt über sich selbst: „Ich bin offener geworden, seitdem ich hier arbeite.“ Was sich auch verändert hat, sind die Arbeitsbereiche, in denen er einsetzbar ist. So hat er neben dem Getränkemarkt auch schon Erfahrungen in den Bereichen von Milchprodukten und Tiefkühlkost gesammelt. „Herr Bostanci macht sich sehr gut“, betont Göbel. So gut, dass ihm bereits ein regulärer Arbeitsvertrag losgelöst von der Lebenshilfe in Aussicht steht. Für Bostanci ist der Lebensmittel-Markt berufliche Heimat geworden. „Wenn ich Urlaub habe, vermisse ich meine Arbeit und die Leute hier, weil ich sie ins Herz geschlossen habe“, sagt er.
Zurzeit sind es 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie Serdar Bostanci, die über die Lebenshilfe Dillenburg auf einem BiB-Platz arbeiten. BiB-Partner sind mittlerweile 38 heimische Beschäftigungsgeber aus den Bereichen Industrie, soziale Einrichtungen, Einzelhandel, Brauerei, Dienstleister und Handwerk. Die Betriebsintegrierte Beschäftigung ist 2013 im Zuge der Außenarbeits-Neustrukturierung vom Landeswohlfahrtsverband geschaffen worden. Mit Hilfe einer verbesserten Finanzierung und mit einer gezielten Begleitung sollen so Übergänge und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden. „Wichtig ist, dass alle wollen“, so Kind. „Dann kann es funktionieren und wird für alle Beteiligten ein Gewinn.“