Stadt und Lebenshilfe im zweimonatigen Schichtwechsel

Markus Alde von den Dillenburger Stadtwerken hat mit seinem "Schichtwechsel"-Partner Christopher Rompf unter anderem einen Stollen erkundet. (Foto: Holtfoth)

Menschen mit und ohne Behinderungen lernen für jeweils einen Tag die Arbeitswelt des anderen kennen – ein einfaches Konzept mit weitreichender Wirkung. Nach rundum positiver Resonanz hat die Lebenshilfe Dillenburg zum zweiten Mal ihr „Schichtwechsel“-Projekt umgesetzt. Kooperationspartner war neben dem Kaltwalzwerk Outokumpu auch in diesem Jahr wieder die Stadt Dillenburg: Acht Mitarbeiter der Stadt haben über zwei Monate hinweg jeweils zwei Tage mit acht Beschäftigten der Dillenburger Werkstätten zusammengearbeitet.

Wiedersehensfreude in der Werkstatt in Eibelshausen. Schichtwechsel mit einem alten Bekannten. Markus Alde von den Dillenburger Stadtwerken war nicht zum ersten Mal dort. Vor 25 Jahren hat der Mann, der für die Dillenburger Wasserversorgung zuständig ist, in dieser Werkstatt seinen Zivildienst geleistet. „Ich glaub’s ja nicht, der Markus! Was machst du denn hier?“ Hier eine Umarmung, da ein Handschlag. Die Werkstattbeschäftigten haben ihn nicht vergessen. Damals war er vorrangig für den Fahrdienst und für die Aktenvernichtung zuständig. „Seitdem hat sich hier schon einiges verändert“, sagte er und bestaunte die breite Produktionspalette.

Sein Schichtwechselpartner: Christopher Rompf. Der junge Mann mit Behinderung ist Experte im Zusammenbauen von Sicherungskästen. In Windeseile schraubte er sie mit sicheren Handgriffen zusammen. „So schnell werde ich das aber nicht schaffen“,  merkte der Stadtmitarbeiter an. Sein Gegenüber erwidert beruhigend: „Bis man das drauf hat, dauert es auch ein bisschen.“ Am darauffolgenden Tag stand der Gegenbesuch bei den Stadtwerken an: Von Tiefbrunnen über den größten hiesigen Hochbehälter Kronbuche bis hin zum Wilhelmsstollen – gemeinsam ist das Paar der Wasserversorgung auf den Grund gegangen. „Das war echt cool“, so Christopher Rompf.

Renate Winkel hat Dillenburgs Bürgermeister Michael Lotz in ihren Arbeitsbereich in der Werkstatt in Oberscheld eingewiesen.

Auch diesmal stellte für die Mehrheit der Stadt-Teilnehmer der Werkstatt-Alltag eine völlig neue Erfahrung dar  – wie etwa für Kevin Schneider (Bauhof) und Nick Hamer (Jugendhaus). „Ich dachte, in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen wird hauptsächlich Verpackungsarbeit geleistet“, sagte Schneider an seinem Tag in der Werkstatt Dillenburg. „Wie vielseitig und industriell das hier ist, hätte ich mir niemals vorgestellt.“ Auch Nick Hamer, der in der Küche in Flammersbach mitarbeitete, war erstaunt, wie körperlich anstrengend die Tätigkeit seines Schichtwechselpartners sei. „Und man hat hier sehr viel Spaß.“ Mitarbeiter aus der Kindertagesstätten in Donsbach und Eibach waren an der diesjährigen Umsetzung des Projekts ebenso beteiligt wie ein Mitarbeiter der Tiefbauabteilung, der kurzfristig für einen erkrankten Kollegen einsprang.

Einblicke ins Rathausleben erhielt die Werkstattbeschäftigte Renate Winkel. Welche Abteilungen sind in der Stadtverwaltung angesiedelt, wie entstehen Projekte von der Idee bis hin zur Umsetzung, wie sieht der Alltag eines Bürgermeisters aus? Unsere Beschäftigte erfuhr es aus erster Hand. Tags zuvor hatte Bürgermeister Michael Lotz mit ihr in der Werkstatt in Oberscheld gearbeitet und Kontakte maschinell auf Kabel für Campingwagen gestanzt. Während der gemeinsamen Arbeit zückte sie eine Liste mit Fragen, die sie ihrem Schichtwechsel-Partner stellen wollte. „Wenn man schon mal die Gelegenheit dazu hat…“ Sie grinste. „Was kann man von uns Menschen mit Behinderung lernen?“
Offenheit etwa. Oder andere Wertmaßstäbe zu setzen, den Blick aufs Wesentliche zu lenken. „Nicht auf Geld, nicht auf Kleidung“, so der Bürgermeister. Und zu wissen: „Es ist nicht schlimm, mal aus der Reihe zu fallen“, fügte die Frau mit Behinderung hinzu.

Dass der „Schichtwechsel“ bei den Mitarbeitern der Stadt Spuren hinterlassen hat, stellte kürzlich Jörg Müller von der Stadtreinigung unter Beweis. Er hatte im Jahr zuvor am Projekt teilgenommen. Damals hatte er mit Steffen Samel, einem Beschäftigten der Gärtnerei der Werkstätten, zusammengearbeitet. Jetzt lud er die Gärtnergruppe zu einer exklusiven Führung durch die Grube Beilstein, den Hochbehälter in Oberscheld und den Bauhof in Dillenburg ein. „Ich hatte damals versprochen,  dass wir das mal machen, und jetzt haben wir es in die Tat umgesetzt“, so Müller. Der Kontakt zur Gärtnerei sei die ganze Zeit über nicht abgerissen, sagt der Mitarbeiter der Stadt Dillenburg weiter. Aus dem Projekt hätten sich Freundschaften entwickelt. „Was ich an Menschlichkeit im Zuge des Schichtwechsels erfahren durfte, ist eine ganz besondere Erfahrung.“