Annabelle Müller und Isabella Jerabek. Zwei junge Frauen aus dem Lahn-Dill-Kreis, die sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in den Werkstätten der Lebenshilfe Dillenburg entschieden haben. Ein besonderes Jahr. Ein wegweisendes Jahr. Für beide.
Ob sie Elektrikerin sei. Oder Feuerwehrfrau. Eine der ersten Fragen, die ein Betreuter der Lebenshilfe-Werkstatt in Dillenburg der 17-jährigen Annabelle Müller zu Beginn ihres FSJs gestellt hat. Heute weiß sie: „Das macht er bei jedem, der neu ist.“
Schnell hat sie sich eingelebt in dieser Welt, die so anders ist als ihr früherer Schulalltag. Die Dillenburgerin besuchte die Wilhelm-von-Oranien-Schule, entschied sich aber dafür, diese Laufbahn noch vor dem Abitur abzubrechen. „Ich hatte keine Motivation mehr und wollte raus und arbeiten, einfach etwas ganz anderes machen.“ Im August 2017 begann sie daraufhin ihr FSJ bei der Lebenshilfe Dillenburg. Eine völlig neue Erfahrung, denn Bezugspunkte zu Menschen mit Behinderungen gab es in ihrem Leben zuvor nur wenige. Neuland. Vor allem die Offenheit, die die Menschen, die dort arbeiten, ihr entgegenbringen. „Hier bekomme ich schon das eine oder andere unverhoffte Kompliment, das ist am Anfang schon ein bisschen komisch“, erzählt sie. Schon ruft ihr ein Klient zu: „Du bist nett!“ Eine andere Betreute winkt ihr zu und streckt den Daumen in die Höhe. Annabelle erwidert diese Geste mit einem stillen Grinsen.
Die Dillenburgerin ist ein ruhiger und zurückhaltender Mensch. Doch gerade diese Art tut vielen Betreuten gut. Sie hat ein Gespür für die Menschen, die sie in der Werkstatt begleitet. Etwa für den 56-jährigen Andreas, der halbseitig gelähmt ist. Ihn begleitet sie seit Monaten, unterstützt ihm beim Gehen und Essen. „Wenn es ihm nicht so gut geht, spürt Annabelle das mittlerweile“, erzählt Gruppenleiter Johannes Krauss.
Die FSJlerin hilft bei der Produktion und hilft bei sogenannten Arbeitsbegleitenden Maßnahmen: etwa beim Schwimmen. Wer sie erlebt, bezeichnet sie als gewissenhaft und zuverlässig. Die junge Frau fühlt sich wohl in ihrem neuen Umfeld. „Ich bereue meine Entscheidung fürs FSJ überhaupt nicht“, sagt sie. Zumal sie dabei einiges über sich selbst erfährt: „Ich habe gelernt, dass ich mich nicht verstecken muss. Und ich komme super mit Menschen mit Behinderungen klar. Davor braucht niemand Scheu zu haben.“ Nach ihrem FSJ will Annabelle ihr Abitur an einer beruflichen Schule nachholen. Mit dem Schwerpunkt Gesundheit. „Darin hat mich die Zeit hier jetzt schon bestärkt.“
Isabella Jerabek wollte nach ihrem FSJ studieren. Eigentlich. Doch die Zeit in den Dillenburger Werkstätten veränderte alles. Auch wenn ihr das nicht gleich bewusst war. „Ich erinnere mich noch an meinen ersten Tag hier, als mir direkt einer der Betreuten stürmisch um den Hals fiel. Da wusste ich wirklich nicht, ob das das Richtige für mich sein würde.“
Doch bald wurde die Tätigkeit dort für die heute 27-Jährige immer mehr zur „Herzensangelegenheit“, wie sie sagt. „Wenn du zu diesen Menschen hier erst einmal eine Bindung aufgebaut hast, nehmen sie dich, wie du bist, und geben dir unglaublich viel zurück.“ Nach dem FSJ machte sie eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin und kehrte schließlich 2014 an ihre alte Wirkungsstätte zurück – nun aber als Gruppenleiterin. „Sie ist ein echtes Paradebeispiel dafür, wie man durch ein Orientierungsjahr gut im Job und gut im Leben steht“, sagt Lars Lückoff, Einrichtungsleiter der Werkstatt am Standort Dillenburg. „Das FSJ erweitert den eigenen Horizont und ist ein bedeutsamer Lebensabschnitt, den man nicht vergisst.“
Aktuell beschäftigt die Lebenshilfe Dillenburg in ihren verschiedenen Einrichtungen zehn junge Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr. Bis zum Sommer können sich alle Interessierten per Mail an jobs@lebenshilfe-dillenburg.de für ihr FSJ oder ihren Bundesfreiwilligendienst (BFD) bewerben.