„Beeindruckend. Ich hätte nicht gedacht, dass das hier so groß ist.“ – „So viel Industrienähe hätte ich nicht erwartet.“ – „Die Lebenshilfe leistet hier wertvolle Arbeit, die man nur unterstützen kann.“ Politik trifft auf Werkstatt – am vergangenen Donnerstag durch eine sechsköpfige Delegation der FDP, die sich vor Ort ein Bild von der Reha-Werkstatt der Lebenshilfe Dillenburg in Haiger gemacht hat.
Mit der hessischen FDP-Generalsekretärin Bettina Stark-Watzinger und dem stellvertretenden FDP-Lahn-Dill-Vorsitzenden Carsten Seelmeyer nutzten gleich zwei Bundestagskandidaten die Gelegenheit, sich über die Arbeit der Reha-Werkstatt zu informieren. Begleitet wurden sie von Wolfgang Berns (stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Kreistags-FDP), Anna Lena Benner-Berns (Vorsitzende der FDP Herborn) sowie Volkmar Triesch und Sascha Kraus von der FDP-Fraktion Haiger.
Monika Mundt, Leiterin der Reha-Werkstatt Haiger, führte gemeinsam mit Lebenshilfe-Vorstandsmitglied Dirk Botzon und Ralf Turk, Bereichsleiter der Dillenburger Werkstätten, durch die verschiedenen Arbeitsbereiche der 13 Jahre alten Werkstatt. Begonnen hatte damals alles zunächst in einem Mietobjekt in der Unteren Pfarrstraße mit zehn Mitarbeitern mit seelischen Behinderungen und Abhängigkeitserkrankungen, bevor die Werkstatt im Juni 2013 in die Industriestraße umzog. Heute sind am dortigen Standort 95 und an Außenarbeitsplätzen 14 Mitarbeiter beschäftigt. Und der Bedarf wird nicht kleiner, sondern ständig größer.
Ein gesellschaftliches Phänomen, dessen Ursache oft in frühester Kindheit liegt: „Zwei Drittel der Menschen, die wir hier heute betreuen, haben Bindungsstörungen“, erklärte Monika Mundt. „Wenn Menschen von klein auf im sozialen Umfeld entscheidende Dinge fehlen, lassen die sich irgendwann nicht mehr aufholen.“ Das Phänomen einer „Gesellschaft im Umbruch“, wie Carsten Seelmeyer anmerkte. Eines der Hauptmerkmale: keine gefestigten Familienstrukturen. „Das bekommen wir bei uns auch in unserem Kinderzentrum deutlich zu spüren“, so Dirk Botzon. „Der Anteil verhaltensauffälliger Kinder wird immer größer.“ Mehr über Bindung anstatt immer nur über Bildung zu sprechen, auch in der Politik – diesen Appell richteten die Vertreter der Lebenshilfe an ihre Besucher.
Auch sei es wichtig, die Erwartungshaltung hinsichtlich einer Rückkehr der Reha-Werkstatt-Mitarbeiter ins Berufsleben mit dem nötigen Realismus zu versehen. „Natürlich ist es der Wunsch von Kostenträger und Politik, dass wir die Menschen, die hierherkommen, schnell wieder auf den ersten Arbeitsmarkt schicken“, sagte Monika Mundt. „Was dabei jedoch nicht berücksichtigt wird: Diese Menschen sind chronisch krank. Sie kommen hierher, weil sie voll erwerbsgemindert sind und eine Nische wie unsere brauchen. Ihre Erkrankung ist nicht im Sinne von Genesung heilbar. Unser vorrangiges Ziel ist daher, dass sie gesundheitlich stabil sind und nach vielen Misserfolgserlebnissen bei uns ein sicheres Umfeld und eine Heimat finden.“
Dazu muss der Rahmen stimmen, wie Ralf Turk betonte. Und dieser Rahmen ist nicht vergleichbar mit dem oftmals genutzten Klischee der Besen- und Bürstenproduktion in Werkstätten. Denn: „Arbeit kann man nicht spielen.“ Die Reha-Werkstatt bietet vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten. Ausgangspunkt ist der Berufsbildungsbereich, vergleichbar mit einer Lehrwerkstatt in anderen Betrieben. „Hier haben unsere Mitarbeiter zunächst einmal die Möglichkeit anzukommen und sich auszuprobieren – ohne Stress und Termindruck“, erläuterte die Werkstattleiterin.
Im Berufsbildungsbereich entstehen zum Beispiel Eigenprodukte wie Taschen, Notizbücher und Hochbeete. In der Regel wechseln die Mitarbeiter nach 27 Monaten in die anderen Arbeitsbereiche. Neben der industriellen Fertigung für rund 25 heimische Unternehmen sind die Mitarbeiter in den Bereichen Sandstrahlerei, Internetgebrauchtbuchhandel, Lager, Küche oder in Außenarbeitsgruppen des Wildparks Donsbach und der Stadtbücherei Haiger beschäftigt. „Wie wichtig dieser beschützte Raum für diese Personengruppe ist – das nehmen wir heute aus dem Besuch mit“, betonte Bettina Stark-Watzinger abschließend.